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Homeoffice, Corona und Mutismus

Momentan gehöre ich zu den Glücklichen, die ihre Arbeit einfach zuhause machen können. Ich wurde, wie viele andere aus dem Unternehmen auch, mit all meinem Krempel nachhause geschickt. Und dort habe ich nun seit einer Woche einen Arbeitsplatz mit einer Telefonsoftware und einer Plattform für Chats und Videokonferenzen auf dem Computer. Im Wohnzimmer neben dem hübschen Fenster im Erker. An der einzigen Fensterbank in der Wohnung mit den vielen Pflanzen.

Eigentlich könnte das furchtbar praktisch und toll sein. Vor allem für mich als Mensch mit Mutismushintergrund. Denn ich muss nirgends mit dem Auto hinfahren. Sehe keine Menschen und hab‘ weitestgehend meine Ruhe. Ich bin allein und muss das Haus eigentlich auch gar nicht verlassen, solange die Lebensmittel (und das Toilettenpapier) noch reichen. Das ist wie früher, als ich meine Masterarbeit geschrieben habe. Und das war furchtbar toll. Mehrere Monate war ich fast nur für mich und hab getippt und gelesen und getippt. Jeden Tag. Fünf Tage die Woche und am Ende auch am Wochenende. Und fast genauso toll könnte das jetzt auch sein. Nur, dass ich für das Tippen Geld bekomme. Aber es wäre ja insgesamt zu einfach, wenn es jetzt auch noch toll wäre.

Die Sache mit den Kollegen

Denn im Büro sind die Kollegen, von denen ich inzwischen einige furchtbar gern habe. Und genau die sind jetzt eben nicht mehr da. Nur noch im Computer, was damals übrigens auch äußert praktisch gewesen wäre, da man so einfach chatten kann. Ohne zu sprechen. Jetzt ist daran aber nichts mehr praktisch. Ehrlich gesagt nervt mich die Tipperei sogar, da ich ja ohnehin schon sehr viel tippe.

All das, was ich mir in den letzten 5 Jahren dort erarbeitet habe, ist jetzt plötzlich weg. So gut wie. Und zwar von einen Tag auf den anderen. Mir fehlt der allmorgendliche Plausch mit der Lieblingskollegin. Über unser Porridge zum Frühstück, über die Feierabende davor oder über die Wochenenden. Über’s Laufen, über Kreatives, über Podcasts oder über Gottunddiewelt. Mir fehlt der Postkartenkalender, den mir die andere Lieblingskollegin zu Weihnachten geschenkt hat. Ich hab‘ in der Eile vergessen, ihn mitzunehmen. Und mir fehlt die gemeinsame Mittagspause und der Nachmittagskaffee mit all den anderen. Und die Witze fehlen auch. Denn, wenn ich Witze mache, dann sind es gute Späße und alle lachen. All das fehlt. Das Menschliche. Und das, obwohl ich doch genau so früher immer zufrieden war.

Und die Sache mit der Angst im Wohnzimmer

Das ist die zweite Sache, die momentan nicht gut passt. Zuhause im Wohnzimmer ist mein Zuhause. Und das ist der Ort, an dem sich Introvertierte am Wochenende verkrümeln, um sich von der Woche zu erholen. Jetzt ist die ganze Woche plötzlich im Wohnzimmer. All die Kollegen und die Geschäftspartner. Alles im Wohnzimmer in meinem Zuhause. Jetzt verkrümel ich mich hier nicht, sondern mache souveräne Telefonate, bei denen ich bis heute noch nicht so genau verstanden habe, wie ich das plötzlich bewerkstelligen konnte. Das passt nicht zusammen. In mein Wohnzimmer gehören weder all die Kollegen noch die souveräne Mitarbeiterin mit Mutismushintergrund. Und genauso wenig gehört hier die Angst hin, die ich ja immer noch habe. Das gehört ins Büro und hier ist ein sicherer Ort ohne Angst.

Ich nehme also aus dieser Situation mit, dass ich in ein Büro gehöre. Mit Menschen. Einem Kaffee. Und meinem Auto. Und genauso nehme ich mit, dass Mutismus so sehr der Vergangenheit angehört. Ein bisschen.

6 thoughts on “Homeoffice, Corona und Mutismus

  1. Dass du in ein Büro gehörst, dass die Menschen dort und der gemeinsame Kaffee dazugehört – und dass der Mutismus eine Erinnerung aus der Vergangenheit ist, die immer bleiben wird – ist gut.
    Genau so soll das sein, wenn wir Ex-Mutistinnen jetzt gerade über unser Leben nachdenken.

    Wie wäre es denn, wenn wir zwei mal wieder Kontakt aufnehmen?
    Du musst auch gar nicht tippen, wenn du nicht magst. 🙂
    Wir könnten einfach reden.

    1. Liebe Christine, schön von dir zu hören. Ja, gerne können wir mal wieder Kontakt aufnehmen. Das letzte Mal ist ja jetzt auch schon wieder eine Weile her 🙂

  2. Ich find’s einerseits super, dass dir das fehlt – und auf der anderen Seite natürlich riesig mist, weil alleine arbeiten, wenn man doch die Lieblingskollegen hat, das ist total ätzend. Und nirgends in der Wohnung von der Arbeit abschalten können, ist auch doof. :/ Schwierig, das alles.

    Drücke dir die Daumen, dass du dafür eine Lösung findest. <3

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