Das mit dem Sprechen in der Schule war immer so eine Sache. Manchmal ging es. Manchmal nicht. Wenn die Antworten kurz waren, funktionierte es ab und an. Außerdem musste ich mir sicher sein, dass es wirklich richtig war. Und die Wörter mussten leicht auszusprechen sein. Fremdsprachen oder Fachbegriffe waren da schon schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich. Was auch absolut nicht funktionierte war, frei zu sprechen. Manchmal gingen Halbsätze oder sogar kurze Sätze, wenn ich sie in Gedanken exakt vorformuliert hatte. Aber mehrere Sätze hintereinander, die im Kopf erst beim Reden entstanden, waren unmöglich.
Vorlesen ging grundsätzlich besser. Das gab mir Sicherheit. Und am besten war es, wenn ich zuhause schon einen Blick auf den nächsten Text werfen konnte. Dann funktionierten sogar ab und an Fremdsprachen. Vorausgesetzt, es gab keine fremden Vokabeln. Mein selektiver Mutismus war also auch in der Schule selektiv. Und all das ging auch nur, wenn mich die Lehrer im Unterricht von sich aus aufriefen.
Im Unterricht aktiv melden
Ganz anders sah es aus, wenn es um das Melden ging. Ich glaube, die Male, bei denen ich im Unterricht aktiv etwas sagen wollte, kann ich an einer Hand abzählen. Und das gilt für die gesamte Schulzeit. Warum sollte man als Mutist das Risiko eingehen, sich selbst ins Schweigen zu manövrieren? Selbst wenn es nur eine kurze sichere Antwort gewesen wäre, hätte so viel passieren können. Rückfragen zum Beispiel. Oder andere Fragen. Oder die Antwort hätte doch falsch sein können. Und dazu kommt, dass das Melden mit einer fremden Bewegung verbunden ist. Man reißt plötzlich seinen Finger in die Höhe, am besten ohne nachzudenken. Aber wie hoch? Vielleicht auch nur halbhoch. Welcher Arm? Oder doch besser die ganze Hand?
Meist ging alles auch immer viel zu schnell. Zack und irgendjemand hatte schon das Wort. Während ich noch überprüfte, ob die Antwort auch wirklich richtig war und das Wort oder den Halbsatz in Gedanken zurecht legte. Und wenn sich wirklich niemand meldete, sodass für mich genug Zeit gewesen wäre, hätten meine Gedanken auch falsch sein können. Es konnte ja schließlich nicht sein, dass nur ich die Frage beantworten konnte. Das Anderssein durch mein Schweigen war schon schlimm genug. Der Streber sollte nicht unbedingt auch noch dazu kommen.
Dass es nicht sein kann, dass nur ich die Antwort weiß, kenne ich nur allzu gut.
Auch im Studium geht es mir noch so. In den Zoom-meetings schreibe ich meine Gedanken oft in den Chat, aber schicke nicht ab, nur um am Ende zuzusehen, wie jemand genau das schreibt. Zum Glück zählt die Mitarbeit nicht mehr im Studium – ärgerlich ist es aber trotzdem noch.
Lieben Dank für deinen Kommentar. Ja, das kann ich sehr gut verstehen, dass dich das auch heute noch ärgert… Wenn man sieht wie andere etwas können, was man eigentlich auch möchte. Das ist nicht unbedingt ein schönes Gefühl. Aber es ist gut, dass (mündliche) Mitarbeiter für dich für den Abschluss nicht mehr relevant ist.