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Als der Stuhl in der Psychotherapie falsch stand

Es gab diese eine Blockade bei einem Therapietermin, die nicht aus Worten resultierte. Bei Mutismus können sich Betroffene oft nicht bewegen. Nicht nur die Lippen sind eingefroren, auch der restliche Körper ist starr. Mutismus ist also mehr als ein reines Sprachproblem.

Herr V.’s sicheres Büro

In Herr V.’s Büro stand direkt rechts neben der Tür ein Tisch mit vier Stühlen, an dem er die Gespräche führte. Da sein Büro nicht sehr groß war, war alles etwas eng. Zwei Stühle waren nicht gut erreichbar. Einer stand direkt in einer Ecker an der Wand und der andere stand neben seinem Schreibtisch und damit in einer Ecke aus Schreibtisch und Wand. Er selbst benutzte den Stuhl, der frei vor seinem Schreibtisch stand. Das heißt, für mich kam eigentlich nur ein Stuhl gut infrage, ohne komplizierte Verrenkungen machen zu müssen. Und zwar der, der direkt neben der Tür und gegenüber von seinem Stuhl stand. Dieser Stuhl stand immer mit der Lehne direkt an der Wand, sodass man ihn nicht vom Tisch wegrücken musste. Ich konnte mich also gleich setzen, nachdem er mir einen Platz angeboten hatte. Das war in all den Jahren immer so. Woche für Woche war es gleich. Bis auf ein Mal. Da stand der Stuhl direkt am Tisch.

Das brachte mich durcheinander. Warf mich aus meiner Gewohnheitsbahn und ich konnte mit der Situation nichts anfangen. Ich hätte den Stuhl einfach nach hinten rücken und danach etwas drehen müssen. Dann wäre alles wie immer gewesen. Aber damit konnte ich nicht umgehen. Ich wusste nicht, wie es geht. Obwohl Stühlerücken zu den unkomplizierteren Dingen im Leben gehört, erschien es mir plötzlich unbeschreiblich kompliziert. Konnte man den Stuhl einfach schieben oder musste man ihn anheben? Hätte es dann zu laute Geräusche gegeben? Wie war das sonst, wenn ich darauf saß? Hatte ich den Stuhl überhaupt schon mal angehoben? Wahrscheinlich nicht. Wie schwer war er? Sekunden, die bei mir entschieden, ob daraus eine mutistische Blockade wurde oder nicht.

Bewegungs- und Sprechblockade

Die gesamte Therapiestunde funktionierte deshalb nicht mehr, weil man sich dabei für gewöhnlich setzt. Herr V. verzweifelte wahrscheinlich innerlich schon. Er schien nichts zu verstehen. Woher auch. Nach einer halben Therapiestunde war er durch mein Kopfschütteln und -nicken zwar dahintergekommen, dass es ein Problem mit dem Stuhl gab, aber nicht, wie genau das Problem aussah. Und auch nicht, warum ich nun so gar nicht mehr sprach. Es war, als hätte ich in Minuten tausend Schritte zurück gemacht. Denn normalerweise sprach ich inzwischen in der Therapie. Nicht immer und auch nicht flüssig, aber ich sprach. Und Herr V. hatte schon ein kleines Gefühl für auslösende Situationen entwickelt und auch dafür, wie man sie ab und an durch andere Fragen umgehen konnte. Diesmal ließ sich aber so gar nichts umgehen. Das war eine Bewegungsblockade aus Überforderung. Und eine anschließende Sprechblockade aus Gefühlen. Scham, Verzweiflung und Selbsthass.

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